Vom Einpflanzen geistiger Samenkörner
Wenn ich durch einen frühlingshaften oder sommerlichen Wald spaziere oder wandere, fühle ich mich unbeschreiblich wohl. Und, obwohl ich als „mittelalter Zivilisationsmensch“ nicht mehr unbedingt in freier Natur übernachten möchte, fühle ich mich im Wald zu Hause, auch wenn ich nicht so recht fassen und beschreiben kann, weshalb das so ist, das Gefühl entzieht sich bis zu einem gewissen Grad einfach einem rationalen Zugriff.
Aber auch der Anblick eines Baumes, der vereinzelt auf weiter Flur steht und sich vom Horizont als Silhouette gegen den Himmel abhebt, die Äste kahl, wie ein erstarrter Riese mit vielen Armen, oder wenn die Blätter im Sommerwind rascheln und Schatten spenden, erfüllt mich immer aufs Neue mit Freude und sorgt für eine wunderbare innere Ruhe.
Ein Baum ist meinem Empfinden nach als Lebewesen mehr als die staubtrockene wissenschaftliche Beschreibung: eine ausdauernde und verholzende Samenpflanze, die eine dominierende Sprossachse aufweist und durch „typisches“ sekundäres Dickenwachstum an Umfang zunimmt (1). Und damit meine ich nicht unbedingt einen symbolischen oder einen mystischen Bedeutungsgehalt, auch wenn beides durchaus immer wieder einmal in meinem Kopf herumspukt. Ein Baum ist für mich vielmehr ein lebendiger Hinweis für die Komplexität, das Zusammenwirken und die Beharrlichkeit und nicht selten auch für die Eleganz natürlicher Vorgänge in unserer Welt. Das Dasein eines Baumes erinnert mich insofern auch an die Abhängigkeit und Verbundenheit alles Lebendigen mit einem größeren Ganzen.
Aber bevor wir den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen, komme ich zu dem Punkt, den ich eigentlich ansprechen wollte: Ein Baum kann auch ein erhellendes Bild für das Schreiben von Geschichten oder von Lyrik sein. Was meine ich damit?
Nun, ein Baum entsteht wie jede Pflanze aus einem winzigen Anfang, einem Samenkorn. Das Samenkorn holt sich die für es wichtigen Nährstoffe und das Wasser aus dem Boden und wächst – im günstigen Fall – und wächst, wird immer größer, entwickelt Blätter, die manche Bäume jahreszeitlich bedingt wieder abwerfen. Und die für Pflanzen so wichtige Fotosynthese beginnt mithilfe der Blätter ihre Arbeit.
Mehr muss ich nicht sagen, denke ich. Denn auch eine kurze Erzählung, ein Roman oder Gedichte entstehen aus kleinen Anfängen, wie einem Bild, einem Ton, einem Gedanken, und entwickeln sich mithilfe der richtigen „Nährstoffe“ und der „Fotosynthese“ und dem Zusammenwirken dieser Faktoren immer weiter. Manchmal entsteht daraus ein Strauch, manchmal eine Blume und nicht selten wächst ein Baum. Und ebenso wie bei den natürlichen Vorgängen kann sich eine Geschichte, ein Gedicht manchmal nicht richtig entwickeln, bleibt klein oder verkrüppelt, stirbt ab.
Auf diese Weise stelle ich mir gerne die Entstehung von Geschichten oder eines Gedichts vor. Und so, wie ich den Haselnussstrauch, die Rose, den Ahorn wegen des Sauerstoffs zum Leben brauche, die Pflanzen mir Freude bereiten und ich mich auf vielfältige Weise in Bezug zu den Pflanzen setzen kann, so sind für mich in gleicher Weise Geschichten und manches Mal auch Gedichte wichtig.
Vor Kurzem habe ich mich dazu entschieden, den offiziellen Beruf des „Autors“ oder „Schriftstellers“ auszuüben. Übertragen auf mein Bild heißt das, ich möchte versuchen, meinen Teil dazu beizutragen, meine geistigen Samenkörner einzupflanzen, damit sie wachsen können, und im Zusammenspiel mit den Menschen, also denen, die sie vielleicht lesen, wachsen können und den Menschen Freude bereiten.
In diesem Sinne wünsche ich Euch einen erfüllten Tag!
(1) Defininiton aus Flurbäume: https://www.flurbaum.de/was-ist-ein-baum.html.