„Qintaq und Ei”– ein Auszug

Der folgende Text ist ein Auszug aus dem geplanten Roman mit dem Arbeitstitel „Qintaq und Ei”. Es handelt sich dabei um eine noch völlig unbearbeitete Rohfassung, entstanden während des NaNoWriMos 2022. Alle Rechte liegen bei dem Autor Marcel Meder. Viel Spaß beim Lesen!

„Das »Loch« war eigentlich ein aus mehreren Räumen bestehendes Kellergelass unter dem einfachen Tee- und Gasthaus von Surya, eines der angeseheneren Häuser im dritten Kreis von Nashik. Surya, früher ein Qintaq, der sich als Kneipier zur Ruhe gesetzt hatte, nachdem ihm ein Leviathan im Inneren Ozean den linken Arm abgerissen hatte, unterhielt den von allen, die ihn kannten, liebevoll »Loch« genannten Treffpunkt unter dem eigentlichen Gasthaus für die ortsansässigen Qintaq, an dem sie sich zurückziehen konnten. Nur wer Surya persönlich bekannt war oder auf Empfehlung eines oder einer ihm bekannten Qintaq zu ihm kam, konnte das Loch aufsuchen. Wer den Rückzugsort in Anspruch nehmen wollte, zahlte eine Leliondár-Gebühr oder auch nur für einen Tag oder einen Viertel-Leliondár.
Das Gasthaus hatte einen gewöhnlichen Keller, in dem Surya Lebensmittel, Ersatzgeschirr und, in einem abgelegenen Winkel, auch die Errungenschaften sowie seine Ausrüstung aus der Zeit als Qintaq lagerte, wo sie vor sich hin staubten. Etwas verborgen hinter einigen Regalen befand sich eine schwere verriegelte Holztür mit einem in etwa Mannshöhe angebrachten verschließbaren Guckloch.
Dahinter, in einem Vorraum, räkelte sich Sinta auf mehreren Sitzkissen und trank Masala Chai, der nach ihrer byzantinischen Lieblings-Gewürzmischung dampfend auf einem Tischchen vor ihr stand. Sie war ebenfalls eine ehemalige Qintaq, die es nicht so gut getroffen hatte wie Surya. Sie hatte die rechte Hand, das linke Auge und das rechte Ohr verloren. Was sie dermaßen verunstaltet hatte, hatte sie nie erzählt und man sprach sie auch besser nicht darauf an. Ihr faltiges Gesicht und ihre drahtige, etwas knochige Gestalt verrieten darüber hinaus, dass Surya sie wahrscheinlich bald auf das Altenteil würde entlassen müssen. Neben ihr lag ein langer, dunkel glänzender Holzstab und im Gürtel trug sie ein Schlangenkeris in einer reich verzierten Scheide.
Es klopfte an der Tür. Sinta, die gerade ihren Tee trank verzog das Gesicht und brummte. Als es zum zweiten Mal, und diesmal energischer klopfte, stand sie trotz ihres fortgeschrittenen Alters geschmeidig auf.
»Ja, ja! Nur die Ruhe, ich komme schon!«
Sie sah durch das Guckloch, grunzte und öffnete dann die Tür.
»Alte Frau, lass mich doch nicht so lange warten an der Pforte zur Glückseligkeit!« Der Mann, der im Eingang stand, lachte lauthals und klopfte Sinta auf die Schulter. Er sprach mit einem deutlichen Akzent.
»Wenn du mich noch einmal ›alte Frau‹ nennst, Artabásdos, brech ich dir alle Knochen im Leib, byzantinisches Bürschchen!«, knurrte Sinta.
Er wich zwei Schritte Richtung Durchgang zurück und lachte wieder, diesmal etwas gekünstelt. Der als Artabásdos angesprochene war ein Hüne von Mann, vollständig in Leder gekleidet. Wahrscheinlich hätte er Sinta ohne Mühe entzwei brechen können, doch man merkte ihm eine gewisse Nervosität an.
»Ach komm, Sinta, meine Liebe! Ich scherze doch nur mit dich, sei nicht böse auf mich!«
»Es heißt ›mit dir‹. Und nenne mich niemals wieder ›meine Liebe‹, wenn du den Abend erleben willst! Gib mir deine Waffen, schleich dich und lass mich in Ruhe meinen Tee trinken!«
Artabásdos kam der Aufforderung ohne zu zögern nach und händigte Sinta seine Zwillingsschwerter und seinen Dolch aus, die sie in einem in der Wand eingelassenen Spind gewissenhaft verstaute, den sie daraufhin mit einem Schloss sicherte. Artabásdos schlug den Stoffvorhang zurück, während sich Sinta grunzend wieder hinsetzte und ihn keines Blickes mehr würdigte.
Für die Qintaq hatte Surya keine Kosten gescheut, denn alle Räume, einschließlich des Vorraums, waren großzügig mit ein, zwei oder drei mittelgroßen Leuchtkristallen ausgeleuchtet, die ein sanftes orangenes Licht abstrahlten. Alle Räume hatte Surya mit bunten Wandbehängen bedecken lassen, die ineinander verschlungene Blumenmuster zeigten.
Das Loch bestand aus mehreren großen und kleinen Räumen. Der erste großer Raum, den Artabásdos nun betrat, war mit mehreren niedrigen runden Tischen sowie Kissen und Bodensofas als Sitzgelegenheiten bestückt. Er wurde für Gespräche und diverse Glücksspiele genutzt. Hier bekamen die Qintaq auch kleine Mahlzeiten zu essen und zu trinken, allerdings nichts Alkoholisches. Über einen Lastenaufzug, der in die Küche des Gasthauses hinauf fuhr, konnte für Nachschub gesorgt werden. Zwei Bedienstete arbeiteten nur zu diesem Zweck hier unten. Mehrere kleine Räumlichkeiten, die über einen Gang zu erreichen waren, der von dem Eingangsraum weg führte, konnten für private Gespräche oder Zusammenkünfte genutzt werden. Zwei größere Räume bildeten eine Art Ruheräume, in die sich Schläfer zurückzogen oder Qintaq, die sich mit beruhigenden oder anregenden Substanzen ein wenig entspannten.
Im ersten Raum befanden sich derzeit nur wenige Qintaq an mehreren Tischchen. Sie grüßten Artabásdos beiläufig so wie er sie auch, während ihn sein Weg durch den Raum zu dem Gang führte, um dann in die einzelnen Ruheräume zu schauen.
»Bagheera! Schön dich zu sehen!« rief Artabásdos aus, als er fündig wurde.
Der Angesprochene lag in einem Haufen Kissen, neben sich ein Tischchen mit Aschenbecher, mehrere Stumpen darin, daneben einige geleerte Gläser, eines noch halbvoll in der Hand.
Artabásdos setzte sich in eine Kissenburg direkt neben Bagheera.
»Ah! Afrásankraut. Ich würd das Zeug ja meiden. Gefährlich. Vor allem, wenn man es raucht und trinkt!«
»Danke für deine Fürsorglichkeit, aber ich brauche sie nicht!«
»Ich hätte einen Auftrag für dich«, begann Artabásdos ohne Umschweife.
»Ich brauche keine Aufträge von dir, ich bin gut versorgt, danke!«
»Also, glaub mir, es ist nicht einfach ein Auftrag. Es ist eher eine Wette, eine Wette auf dein Leben …«, hatte sich ihm Artabásdos geheimnisvoll flüsternd zugeneigt. Der Geruch von Knoblauch wurde penetrant. Artabásdos aß immer und zu jeder Zeit Knoblauch. Er schien aus jeder Pore seines Körpers heraus zu triefen. Ein Geruch, der in Bagheera jedes Mal Übelkeit aufsteigen ließ.
»Wovon redest du? Sprich nicht in Rätseln, Artabásdos, ich habe keinen Nerv für deine Spielchen«, erwiderte Bagheera und versuchte etwas abzurücken, was ihm misslang, da er zu benebelt war und die Kissen, in denen sein Körper versunken war, ihn nicht freiließen.
Artabásdos ließ ein gönnerhaftes Lachen ertönen und klopfte Bagheera kumpelhaft auf die Schulter.
»Immer der Unnahbare, immer mies gelaunt. Ich mein es ernst. Eine schöne Wette. Der Händler Kalándros, den kennst du, ne! Dieser knickrige, aber stinkreiche Furz aus Ulóssos’ Arsch, hat wirklich und wahrhaftig eine Wette vorgeschlagen. Zwei erfahrene Qintaq, zwei Aufträge, zwei Vorauszahlungen, zwei Prämien bei Lieferung.«
Artabásdos sah Bagheera erwartungsvoll an. Aber der Nebel in Bagheeras Kopf verdichtete sich, er wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden! Als er nicht antwortete, sprach Artabásdos weiter, ohne das Schweigen Bagheeras zu beachten.
»Und was sind jetzt diese Aufträge? Oh, du wirst staunen! Für den einen soll einer in die Große Senke, für den anderen in das Verlorene Land«, Artabásdos setzte wieder eine dramatische Pause. Diesmal lichtete sich der Nebel ein wenig und Bagheera fragte: »Was?«
»In die Große Senke und das Verlorene Land. Ja, du hast richtig gehört, mein Lieber!«
»Sag nicht ›mein Lieber‹! Das ist so, als würdest du mich in den Arsch pimpern!«
Artabásdos lachte schallend, woraufhin sich ihnen zwei andere benebelte Köpfe zuwandten. Als nichts weiter geschah, wandten sie sich wieder ab.
»Also in die Große Senke und das Verlorene Land. Was hat das mit mir zu tun. Sehe ich so aus, als sei ich so von allen Asú verlassen, dass es mich zu einem der beiden Orte hinzieht?«
»Nein, natürlich nicht!«, beeilte sich Artabásdos zu bestätigen, »aber der Gewinn ist exovigant« – »Exorbitant, du Volltrottel!« – »und die Prämie ist wirklich un-glaub-lich!«
»Genau! Damit der Anreiz hoch genug ist und sich wenigstens ein paar Verrückte finden, die sich zur Belustigung aller zum Narren machen! Und gestatte mir eine Frage: Weshalb kommst du mit diesem grandiosen Angebot ausgerechnet zu mir?«
»Grandiwas?«
»Das bedeutet ›großartig‹!« seufzte Bagheera und versuchte, im Nebel zu abzutauchen.
»Ah ja! Na, weil sich echt niemand gefunden hat bisher, trotz des grandiosen Angebots!«
»Und deswegen war es überflüssig, zu mir zu kommen!«, der Nebel erwartete ihn.
»10.000 Golddinar für alle, die teilnehmen. Nochmal 10.000 für den ersten, der heil zurück kommt, 5.000 für Nummer zwei. Ach ja, und das Auge Vedányas für den Sieger …« ”

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